In Deutschland sind seit 2005 etwa 200 Energiewendedörfer entstanden, welche einen Großteil des eigenen Energiebedarfs aus regionalen Quellen decken. Hier gebe ich einen Einblick in die Erfolgsfaktoren, welche zum Gelingen dieser Umstellung beitragen.

Zwischen 2000 und 2010 war ich mit Teams aus Unis in Göttingen und Kassel mit der Initiierung und wissenschaftlichen Begleitung von 5 Energiewendedörfern im Göttinger Raum aktiv. Unsere Öffentlichkeitsarbeit trug dazu bei, dass das Modell solcher Dörfer in weiteren knapp 200 Dörfern im Land umgesetzt worden ist.

Hier finden Sie unsere Vorschläge, wie der Umbau eines Dorfes hin zu einem “Energiewendedorf“ angepackt werden kann. Wie kann eine Kommune die eigene Energieversorgung von importierten, meist fossilen Energieträgern auf regional verfügbare erneuerbare Energie umstellen? Den folgenden kurzen Beitrag schreibe ich als Appetitmacher für einen ausführlichen Leitfaden, welchen Sie im Netz hier nachschlagen können.

Der Start der Energiewende in einer Kommune ist eine Idee: Die Idee, dass und in welcher Form diese Transformation gelingen könnte. Wenn Sie oder eine Gruppe von Menschen Ihrer Kommune so eine Idee im Kopf haben, kommt es zunächst auf folgende Punkte an:

Sprechen Sie Bekannte/Freunde im Ort auf Ihre Idee hin an. Beginnen Sie damit, Menschen Ihrer Kommune zu kontaktieren, die Sie bereits gut kennen und von denen Sie sich vorstellen können, dass sie Ihrer Idee gegenüber offen sein könnten. Hier ist es noch nicht so wichtig, strategisch an Entscheidungsträger und potentielle MultiplikatorInnen zu denken – das folgt im nächsten Schritt. Hier geht es darum, dass Sie sich vergewissern, dass es im Ort eine Kerngruppe von guten Bekannten gibt, in deren Kreis Sie sich wohlfühlen und mit denen gemeinsam Sie Lust bekommen und Freude verspüren, die folgenden Schritte anzugehen.

Überlegen Sie gemeinsam, für welche Teile Ihrer Vision Experten im Ort vorhanden sind: Z.B. Finanzierung, Technik, Landwirtschaft, Verwaltung, Öffentlichkeitsarbeit. Sprechen Sie diese an. Bilden Sie informelle Arbeitsgruppen, die einzelne Aspekte des Vorhabens genauer checken. Die Gründung eines Energiewendedorfes ist eine Aufgabe, die viele unterschiedliche Kompetenzen fordert. Deshalb ist es empfehlenswert, die Arbeitsschritte in Themenfeldern zu gliedern und nach Möglichkeit Experten und Expertinnen für die einzelnen Bereiche als Unterstützer zu gewinnen. Zu technischen Fragen können ansässige Ingenieursbüros oder private BewohnerInnen mit Fachkenntnissen zurate gezogen werden. Insbesondere genossenschaftlich geführte Banken und deren Vertreter sind in der Regel offen für gemeinsame Projekte und können als mögliche Ansprechpartner zum Thema Finanzierung fungieren. Die Themen Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit lassen sich gut mit den Aufgaben der Kommune verknüpfen, weshalb es sich anbietet, auch die Gemeinde auf eine gemeinsame Projektabwicklung anzusprechen.

Inwieweit ist Bereitschaft der Menschen der Kommune für eine gemeinschaftliche Energieversorgung ausgeprägt? Wie kann man die Bereitschaft, bei dem Vorhaben aktiv mitzuwirken, fördern? Hier gibt es eine Vielzahl möglicher Aktivitäten – von gezielten informellen Gartenzaungesprächen bis zu schriftlichen Einwohnerbefragungen. Wichtig ist es nach unseren Erfahrungen, die Resonanz auf den Funken der Idee, der Vision in der Kommune herauszufinden. Sie können die Chance auf gute Resonanz erheblich steigern, wenn Sie sich die Erfolgsfaktoren bei bereits erfolgreich umgesetzten kommunalen Vorhaben anschauen, zum Beispiel Besuche bei Vorreiter-Kommunen, Einbindung der lokalen Presse oder gemeinsame Feiern.

Sprechen Sie Ihre Gemeinderäte, OrtsvorsteherInnen, BürgermeisterInnen und zuständige VertreterInnen der Kommunalverwaltung an. Stellen Sie die Chancen Ihrer Vision anhand von konkreten Beispielen dar. Um die Kommune einzubinden, ist es hilfreich, wenn Sie in Ihrer Gruppe überlegen, wer zu wem von den Anzusprechenden „einen guten Draht“ hat – und das Erstgespräch führt. Wenn keiner mit der fraglichen Person bekannt ist, informieren Sie sich im Vorfeld über diese Person.

Nun ermitteln Sie den aktuellen Bedarf an Strom, Heizenergie und Treibstoff. Wenn in Ihrer Kommune solche Daten bereits teilweise erhoben werden (z.B. für kommunale Betriebe, Gewerbebetriebe oder für Privathaushalte/-häuser), können Sie diese Daten als Grundstock verwenden. Unbekannte Bereiche sollten Sie schätzen, um einen möglichst genauen Überblick über den aktuellen Energiebedarf  vor Ort zu bekommen.

Was sich einsparen lässt, braucht man gar nicht erst erzeugen. Dieser Gedanke ist vor einem Umbau der Energieversorgung essentiell. Prüfen Sie, welchen Einspareffekt Sie durch Effizienzmaßnahmen (Häuser dämmen, effiziente Haushaltgeräte, neue Transportoptionen) erzielen können. Es dürfen dabei nicht die öffentlichen Gebäude und andere Nichtwohngebäude vergessen werden, da diese häufig noch unsaniert sind und entsprechend hohe Einsparpotenziale liefern. Im Gegensatz zu privaten Gebäuden können hier auf einen Schlag erhebliche Einsparungen erzielt werden. Auch veraltete Anlagentechnik und fehlerhaftes Nutzungsverhalten können den Energieverbrauch stark negativ beeinflussen und sollten untersucht werden.

Stellen Sie die Optionen an erneuerbaren Energien, welche sich bei Ihnen vor Ort bieten, zusammen. In vielen Bereichen kann man mehrere sinnvolle Flächen- oder Potentialnutzungen zusammendenken. Grundsätzlich sollte darauf geachtet werden, Ressourcen zu identifizieren, die nicht in Konkurrenz zu anderen Nutzungen treten. Bezüglich der Bioenergie sollten Sie insbesondere Abfallbiomasse in Betracht ziehen, die sie in unseren Handlungsempfehlungen unter* Reststoffe nutzen *detailliert beschrieben sind. Bei Solar- Windenergie sind etwa nicht beschattete und nicht genutzte Südhänge/Dächer ideal.

Für Strom-, Kraftstoff- und Wärmeerzeugung sowie die Verteilung der Energie gibt es jeweils vielfältige Technologien. Hier kommt es darauf an, die für Sie passenden herauszufinden. Diese sollten erprobt, verlässlich und nachhaltig sein. Auch die Verteilung der Energie darf dabei nicht übersehen werden. Aus diversen regionalen Biomassen kann Strom, Wärme und Kraftstoff (für Gasmotoren) erzeugt werden. Diese Verfahren sind praxisreif. Technische oder biologische Anpassungen in der Anlage sind bei schwer vergärbaren Biomassen (z.B. Stroh) notwendig. Wind und PV-Anlagen erzeugen zunächst „nur“ Strom, der über technische Verfahren in Wasserstoff oder Methan umgewandelt werden kann. Auf diese Weise können die Sektoren Strom, Wärme und Verkehr über Verteilnetze verbunden werden. Diese Verfahren werden in Pilotanlagen getestet und zeigen die technische Machbarkeit auf. Die wirtschaftliche Machbarkeit ist z. Z. noch nicht gegeben und die Technik ist ebenfalls noch nicht „Stand der Technik“. In selbstverwalteten Dorfprojekten sollten nur solche Techniken zur Anwendung kommen, die erprobt (Stand der Technik), verlässlich und nachhaltig sind.

Wirtschaftlichkeit berechnen. Hier geht es einerseits um die einmaligen Kosten bei Anschaffung und Bau der Anlagenbestandteile, andererseits um die Abschätzung der Wirtschaftlichkeit nach Start der Anlagen. Um sich an aktuelle Kosten und Wirtschaftlichkeitsdaten heranzutasten, empfiehlt es sich, Kontakt mit anderen Kommunen aufzunehmen, welche bereits EE-Anlagen errichtet haben, die mit Ihren Plänen vergleichbar sind. Fragen Sie die InitiatorInnen oder derzeit Verantwortlichen nach diesen Daten – und nach ihrer Zufriedenheit mit den Anlagen! Manche Kommunen, die bereits erfolgreich Projekte umgesetzt haben, bieten auch Beratungen an. In der Regel kann eine solche Beratung auch gefördert werden.

Für eine erfolgreiche Umsetzung Ihres Projektes ist es wichtig, eine zuverlässige Finanzierung zu gewährleisten. Bei der Wahl der passenden Bank sollten dabei nicht nur die günstigsten Konditionen ausschlaggebend sein. Die Finanzierung von neuen Infrastruktur- und Energieanlagen beruht in der Regel aus einem Mix aus Eigenanteilen (z.B. Genossenschaftseinlagen), Krediten und Finanzierung aus Förderprogrammen. 

Nun ist die Gründung einer Vorgesellschaft mit geeigneter Rechtsform zu empfehlen, welche die Lieferverträge für Ressourcen sowie die Vorverträge für die Abnahme von Energieprodukten organisiert und zum Abschluss bringt. Da zu diesem Zeitpunkt die endgültige Entscheidung für den Bau der Energieanlagen noch nicht getroffen werden kann, ist eine Vorgesellschaft empfehlenswert, welche bei positivem Ausgang dieses Schrittes von der Betreibergesellschaft abgelöst wird.

Bei der Entwurfsplanung stehen Überlegungen zum Unternehmensrisiko sowie zur Rechtsform der Betreibergesellschaft im Mittelpunkt. Die Vorgesellschaft wird dann von einer Betreibergesellschaft abgelöst, z.B. in Form einer Genossenschaft oder GmbH. Die Entwurfsplanung legt die technischen Grundlagen für den Genehmigungsantrag sowie die Art der Ausschreibung fest. Technische Aspekte wie z.B. Bereitstellung der Biomasse, Auslegung der Wärmeverteilung und nicht technische Aspekte wie Kapitalbedarf, Wirtschaftlichkeit, Terminplan werden konkretisiert. Weitere Punkte sind die bautechnische Planung wie Kauf- oder Packverträge für benötigte Grundstücke, Grunddienstbarkeiten für die Energietrasse und die Verhandlung über Verträge zur Biomasselieferung und zur Energieabnahme. Für die Wahl der Rechtsform sollten Sie ausreichend Zeit einplanen, um die Vor- und Nachteile der jeweiligen Möglichkeiten gut einzuschätzen. Gegebenenfalls können dabei der Genossenschaftsverband, Juristen oder andere externe Berater herangezogen werden.

Die Betreibergesellschaft reicht den Bauantrag bei den zuständigen Behörden ein. Es empfiehlt sich, bereits geraume Zeit vor dem Zeitpunkt der Einreichung mit den Behörden Kontakt aufzunehmen, den Antrag anzukündigen und Vorabinformationen über Schwerpunkte der Antragsprüfung und lokale/rechtliche aktuelle Besonderheiten einzuholen.

Nach Genehmigung der Bauarbeiten kann überlegt werden, ob/welche der auszuführenden Arbeiten in Eigenregie übernommen werden können. Die anderen Arbeiten sind auszuschreiben und entsprechende Firmen werden nach Erfahrung und Kostengesichtspunkten ausgewählt.

Hurra, es wird gebaut. Hier wünschen wir Ihnen, dass alles planmäßig und mit wenig unvorhergesehenen Ereignissen abläuft.

Wenn Energieüberschüsse aus Ihrem Dorf in die Region abgegeben werden können, empfiehlt es sich, in der eigenen Region neue Gesellschaften zu gründen, welche die Verteilung und Vermarktung der EE-Energieflüsse in der Region übernehmen. Da für die Verbraucher zunehmend auch eine regionale Herkunft des Stroms wichtig wird, kann eine Vermarktung der Überschüsse in der Region attraktiv sein. Eine Betreibergesellschaft vor Ort stärkt dabei das Vertrauen der Kunden und hält die Wertschöpfung in der Region.

Der stetige Wandel hin zu regionaler Energieerzeugung steigert die Bedeutsamkeit von Stromnetzen in den niederen Spannungsebenen. Gehen diese in das Eigentum der Dörfer und Städte zurück, kann dieser Strukturwandel besser unterstützt werden. Erwerben also Dörfer und Städte die Konzessionen für diese Netze, können diese besser an den notwendigen Strukturwandel mit erneuerbaren Energien angepasst werden, da nun nicht mehr ausschließlich die Gewinnmaximierung im Vordergrund steht, sondern auch regionale und lokale Aspekte der Nachhaltigkeit im Geschäftsalltag stärker berücksichtigt werden. 

Sind Sie neugierig geworden auf weitere Details, Links zu konkreten Dörfern in Ihrer Region, die schon umgebaut haben? Dann schauen Sie auf die Plattform dieser Dörfer, wo Sie u.a. auf einer Landkarte alle Dörfer finden mit konkreten Infos. Viele dieser Dörfer sind genossenschaftlich organisiert. So können Sie nach Kontakt mit einigen solcher Dörfer abschätzen, welche konkreten Konstellationen sich bewährt haben und ggf. für Ihr Vorhaben gut passen.

Viel Erfolg wünscht Ihnen Peter Schmuck

Zuerst veröffentlicht auf der Pareto Plattform für unzensierbaren Bürgerjournalismus