Autorin: Ulrike B. Rapp
Jeder hat es vielleicht schon mal gehört, dass das Wort Krise im Chinesischen (危机) „Gefahr und Chance“ oder auch „Wendepunkt“ bedeutet.. In der Landwirtschaft kriselt es schon lange. Seit einiger Zeit ist nun von einem Wendepunkt die Rede: Der Übergang vom chemischen zum biologischen Paradigma. Das allein stimmt mich als Agraringenieurin und langjährige Aktivistin für den ökologischen Landbau hoffnungsvoll. Allerdings stellt sich mir die Frage, wie dieses biologische Paradigma umgesetzt werden soll. Wird weiter der reduktionistische Weg beschritten oder bringt diese Wende ganzheitliche Denk- und Handlungsweisen mit sich? Hier mein Beitrag zur Diskussion.
Schöne neue Welt
Kürzlich sah ich ein YouTube-Video, das mir u.a. durch einen Sprachgebrauch auffiel, den ich sehr befremdlich fand: Im Video traten ein junger Agrarwissenschaftler und ein Biotechnologe auf, die sich zu einem Startup zusammengetan haben. Sie standen zwischen riesigen Tanks, in denen eine grüne Suppe brodelte. In den Tanks lebten Mikroalgen, aus denen Pflanzenhormone und Signalstoffe gewonnen werden sollten. Die beiden jungen Männer erklärten, dass die Mikroalgen in den Tanks „gefoltert“ werden würden, um mit den dadurch “erpressten“ Pflanzenhormonen und Signalstoffen die Pflanzen auf dem Acker zu „boostern“. Wer will schon Pflanzen essen, die aus Folter und Booster entstanden sind? Ich finde das gelinde ausgedrückt unappetitlich. (Videolink 1, am Ende des Textes)
Mithin ist das die Interpretation des Wendepunkts aus der Sicht der Biotechnologie* und Bioökonomie **. Das sind neue Begriffe und Wissensgebiete, die mit der fortschreitenden Technologisierung und Kommerzialisierung unserer Welt entstanden sind.
Das Ziel scheint klar: Man will technisch ein Produkt erzeugen, das sich dann vermarkten lässt. In den allermeisten Fällen dient das Produkt dem Ziel, Schäden, die zuvor durch Technologisierung verursacht wurden, zu beheben. In der Landwirtschaft sind die Schäden offensichtlich: schwindende Bodenfruchtbarkeit aufgrund des Humusabbaus in den Böden, geschädigter Wasserhaushalt mit der Folge des Verlusts der Bodenstruktur, durch schwere Landmaschinen verdichtete Böden, Erosion, steigender Düngemittelbedarf, schwächere Pflanzen und stärkerer Schädlingsbefall, der mit Pestiziden bekämpft werden muss. Es sind komplexe Zusammenhänge, doch wer würde nicht erkennen, dass es sich hier um den bekannten Teufelskreis handelt.
Fühlende und intelligente Pflanzen
Aber nochmal zurück zu den jungen Geschäftsleuten aus dem YouTube-Video. Der technologische Fortschritt zeitigt auch noch ganz andere Forschungsergebnisse, die scheinbar an den jungen UpStartern gänzlich vorbeigehen oder sie gar nicht berühren. Wer aufmerksam die aktuell veröffentlichten wissenschaftlichen Dokumentationen verfolgt, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Da sieht man in Zeitrafferaufnahmen Wurzel- und Sprossspitzen von Pflanzen, die anmuten wie Tastorgane, mit deren Hilfe sie sich ihren Weg suchen. In Experimenten wurde gezeigt, dass Pflanzen unterscheiden können, ob ein Reiz gefährlich ist oder nicht und ihr Verhalten daran anpassen. Man könnte also sagen, dass sie sich erinnern und lernen. Sie können mit bis zu hundert Duftvokabeln erstaunlich komplexe Informationen versenden und sich untereinander austauschen. Es ist beispielsweise schon gesichert, dass sie sich so bei Gefahr gegenseitig warnen. Welche Funktionen diese aufwendige Herstellung der Duftstoffe für sie außerdem hat, ist zum großen Teil noch unbekannt.
Vielfältige neue Untersuchungsmethoden zeigen also, dass Pflanzen eine hohe Sensibilität, ein Reizwahrnehmungssystem und in gewissem Sinn Bewusstsein oder Sensibilität besitzen, auch wenn man sie deswegen nicht notwendigerweise als individuell leidend ansehen sollte.
Schmerz, wie wir ihn kennen, stellt einen Alarmmechanismus dar, der für Tiere, die sich bewegen und weglaufen können, sinnvoll und notwendig ist. Pflanzen haben als ortsgebundene Organismen eine komplett andere biologische Organisation. Sie unterscheiden sich von Tieren und uns Menschen darin, wie sie gebaut sind, wie sie funktionieren, und wie sie mit ihrer Umwelt interagieren. Sie sind dezentral, chemisch-elektrisch und modular organisiert. Anders als Tiere haben sie kein zentrales Nervensystem mit einem Gehirn, doch über den ganzen Körper verteilt finden sich Sinneszellen, die ihnen verschiedenste Wahrnehmungen ermöglichen. Sie verarbeiten die Reize chemisch-elektrisch, dezentral über Ionenströme und chemische Botenstoffe in Netzwerken, die im gesamten Gewebe aktiv sind. Das modulare Wachstum der Pflanzen ist eine weitere Anpassung an die Ortsgebundenheit. Es bedeutet, dass ihre Körperteile wie Wurzeln und Blätter (Module) fortlaufend neu entstehen, unabhängig voneinander altern, absterben, und ersetzt werden können. So vermögen Pflanzen sich flexibel an Veränderungen anzupassen, seien sie positiv oder seien es Widrigkeiten, wie beispielsweise verschlechterte Standortbedingungen und ungünstige Witterung. Aufgrund all dieser Fähigkeiten kann man sagen, dass sie, obwohl völlig anders aufgebaut, den Tieren ebenbürtig sind. Sie sehen ohne Augen, hören ohne Ohren und reagieren schnell, obwohl sie still erscheinen. Nicht zuletzt stellt sich so die Frage, ob es auch Bewusstsein gibt, das nicht durch das Vorhandensein eines Gehirns definiert ist. Ich finde jedenfalls, dass der wissenschaftliche Fortschritt in diese Richtung weist und wir schon jetzt Gründe genug haben, Pflanzen nicht als passive, „besinnungslose“ Automaten zu sehen, sondern die Komplexität ihrer Reaktionen, Kommunikation und ihrer Möglichkeiten zur Anpassung und Wahrnehmung ernst nehmen. Ich meine, wir sollten damit beginnen, auch an ein artgerechtes Dasein für Pflanzen zu denken.
Menschenrechte, Tierrechte, Pflanzenrechte
Für mich wird der Widerspruch immer deutlicher: Gerade unter jungen Menschen ist es zunehmend populär, den Tieren ihre sensible Lebensart zuzugestehen. Die vegane Lebensweise leitet sich für sie als ethischer Lebensstil direkt aus den Zielen der Tierrechtsbewegung ab. Wenn wir aber nun feststellen, dass Pflanzen und wahrscheinlich auch pflanzliche Einzeller, die im Startup gefolterten, fühlende Wesen sind, wie können wir ihnen dann „Folter und Booster“ zumuten und sie skrupellos als Mittel zum Zweck für unsere menschlichen Interessen ausnutzen? Ich hoffe jedenfalls, dass es analog zu Menschenrechten und Tierrechten, demnächst auch Pflanzenrechte gibt. In Ecuador beispielsweise hat die Natur – egal, ob es sich um ein ganzes Ökosystem, einen Fluss oder ein einzelnes Tier handelt – bereits verfassungsmäßig ein Recht auf Existenz, Erhalt und Regeneration.
Wie würde ein Wendepunkt in diesem Sinne für die Art und Weise unserer Landbewirtschaftung aussehen? Die schon angesprochene Übersetzung der Tierrechtsbewegung in eine radikal vegane Lebensweise und folglich in die totale Ablehnung von Tierhaltung steht doch im Widerspruch zu den vielen positiven und kreativen Ergebnissen der Forschungen, die heutzutage zur artgerechten Tierhaltung gemacht werden. Die Tierwohlbeurteilung ist heute auf jeder Fleischverpackung im Supermarkt ausgewiesen. Dass die Forschungsergebnisse zur artgerechten Tierhaltung nicht mit mehr Konsequenz umgesetzt werden, liegt wohl eher an ökonomischen Zwängen als am mangelnden Willen der Tierhalter. Jeder mit durchschnittlicher emotionaler Intelligenz begabte Mensch wird heute industrielle Massentierhaltung als grausam erkennen und ablehnen.
Bevor ich nun zum Umgang mit Pflanzen in der heutigen Landwirtschaft komme, möchte ich noch ein paar Gedanken über die Situation des Menschen darlegen, denn schließlich sind die Menschenrechte der Ausgangspunkt dieser Lebensschutzbemühungen. Es ist auch für Menschen eine Zumutung, in Tierfabriken zu arbeiten. Die Frage nach den Menschenrechten der in der Landwirtschaft Tätigen erscheint nicht nur von daher mehr als berechtigt. Das Menschenwohl sollte in der gesamten Arbeitswelt viel stärker berücksichtigt werden. Erschreckende Zunahmen von Depressionen und Burnoutsyndromen sprechen Bände. Grund dafür ist die gleiche Logik: Die Menschen müssen sich den ökonomischen Zwängen unterordnen, genauso wie die Tiere in der Tierhaltung. Von der Unabdingbarkeit der ökonomischen Zwänge in der Arbeitswelt in Zeiten zu sprechen, in denen Megakonzerne Jahr für Jahr unvorstellbare Gewinne einfahren und die Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen fast nie da gewesene Dimensionen annimmt, ist mehr als grotesk.
Aber zurück zur Landwirtschaft mit der Frage, worauf diese Haltung der Totalablehnung von Tierhaltung aufgrund von Tierrechten beruht. Denn das mag niemand verstehen, der das Verhältnis der Bauern zu ihren Tieren in ökologisch bäuerlicher Landwirtschaft kennt. Es geht um Beziehung, Respekt, Fürsorge und nicht zuletzt um Dankbarkeit. Die indigenen Völker machen uns das seit Jahrtausenden vor. Sie verneigen sich vor dem Tier und der Pflanze, die es ihnen ermöglichen zu leben.
Friedliche Koevolution
Letztendlich ist es dann das Menschenbild, das die Haltung und die (Un-)Möglichkeiten bestimmt. Glauben wir an unsere Fähigkeit, mit anderem Sein, sei es Mensch, Tier, Pflanze, ein Fluss oder ein Ökosystem, in Frieden zu leben? Werden wir eines Tages zum „homo emphaticus“, der das Potenzial seiner multiplen Intelligenzen in Beziehung und tätig in der Welt entfaltet und im Vertrauen auf diese lebt? Oder wird der Mensch zum reduzierten „Homo oeconomicus“, der aus Angst immer nur sich selbst im Blick hat und letztendlich ein Fremdkörper auf der Erde bleibt?
Eigentlich wollte ich mit diesem Text zur Wende in der Landwirtschaft gar nicht so weit philosophisch ausholen, aber nun erscheint es mir doch notwendig, um die Sache einigermaßen hinreichend zu diskutieren. Nochmals komme ich auf indigene Weisheit zu sprechen, nämlich auf die „ehrenhafte Ernte“ – nur so viel nehmen, wie man selbst zum Leben braucht und mit Dankbarkeit der Erde immer etwas zurückgeben. Es geht darum, die eigenen Bedürfnisse angesichts der Bedürfnisse anderer Wesen zu hinterfragen. Ich denke, dass emotionale und multiple Intelligenzen einen Weg zur friedlichen Koevolution finden werden.
Lebendiger Landbau
„Lebendiger Landbau“ ist die Bezeichnung, die ich einer solchen Wenderichtung mit ganzheitlichem Unterton geben möchte.
Nun komme ich zu meinem eigentlichen Thema: den Pflanzen. Viele meinen, wir könnten nur Jäger und Sammler sein, wollten wir der Natur keine Gewalt antun. Doch inzwischen kann man in archäologischen Studien lesen, dass das artenreichste Ökosystem der Welt, der Regenwald im Amazonasbecken, unter Mitwirkung menschlicher Aktivität entstanden ist. Indigene Völker haben schon vor Tausenden von Jahren den Urwald als Garten bewirtschaftet und damit die Biodiversität, Reichtum und Resilienz des Ökosystems gefördert. An solchen Modellen orientiert sich heute mithin die Permakultur***. Die in der Permakultur propagierten Waldgärten oder Agroforstsysteme sollten unbedingt ein Element unserer Zukunftslandwirtschaft sein. Aktuell haben die Erkenntnisse über das Wood Wide Web – ein komplexes unterirdisches Netz aus Mykorrhizapilzen, das die Wurzeln der Bäume miteinander verbindet – zur Popularität des Ansatzes beigetragen.
Ich habe selber in Brasilien im Entwicklungsdienst und später auf einer eigenen Farm mit Agroforstsystemen als Methode zur Regeneration von degradierten Böden Erfahrungen gesammelt. Wir konnten ausgelaugte Böden wieder fruchtbar machen. Ich durfte den permakulturellen Ansatz, wonach sich Menschen, Tiere und Pflanzen gegenseitig unterstützen, bereichern und fördern, praktisch erleben.
Als Grundlage jeden Landbaus stehen der Boden und die Bodenfruchtbarkeit im Zentrum des Interesses. Neue Forschungsmethoden rücken in den letzten Jahren immer mehr das Mikrobiom des Bodens in den Fokus. Und damit setzen sie im Prinzip das seit fast 200 Jahren herrschende, durch den Chemiker Justus von Liebig begründete, chemische Paradigma in der Landwirtschaft außer Kraft. Das chemische Paradigma besagt, dass Pflanzen Stickstoff und Phosphor und viele weitere Nährstoffe in gelöster Form mit dem Bodenwasser aufnehmen. Dies ist angeblich ein passiver Akt, der mittels des durch Evaporation entstandenen Sogs angetrieben wird. Dabei könnten Pflanzen nicht selektieren, welche Nährstoffe sie in welcher Menge brauchen, was zu Überdüngung beispielsweise mit Stickstoff und folglich zu erhöhten Nitratgehalten in Lebensmitteln führt. In der Natur sind diese Nährstoffe jedoch so gut wie gar nicht in gelöster Form im Bodenwasser vorhanden. Wäre dies der Fall, würde es auch unter Wäldern durch Auswaschung zu Grundwasserbelastungen kommen. In diesen und anderen natürlichen Ökosystemen ernähren sich alle Pflanzen in der Symbiose mit Mikroorganismen.
Fatal ist, dass Pflanzen auf dem Acker, die von klein auf gedüngt werden und den im Wasser gelösten Nährstoffen aus Düngesalzen ausgesetzt sind, keine Kooperation mit den Mikroorganismen mehr eingehen. Das chaotisiert das ganze natürliche System mit weitreichenden Folgen. Seit die Rolle der Bodenorganismen in der Pflanzenernährung klarer wird, beginnt an vielen Orten ein Umdenken. Somit wird der Eintritt ins biologische Paradigma der Landwirtschaft vollzogen.
Im Boden findet sich das mit Abstand größte und auch vielfältigste Mikrobiom der Erde. Industrielle Bewirtschaftung in Form des oben erwähnten Teufelskreises verarmt allerdings auch das Mikrobiom. Deshalb werden vielerorts Bodenverbesserungsmaßnahmen erforscht und erprobt. Einen weiteren Ansatz diesbezüglich habe ich eingangs anlässlich des Berichts auf YouTube mit dem in meinen Augen sehr merkwürdigen Vokabular angesprochen.
Biologisches Paradigma: das Mikrobiom
Aber beginnen wir erst einmal damit: Was ist die Funktion dieses vielfältigen Mikrobioms im Boden? Wohlgemerkt, ein Quadratmeter gut entwickelten, humusreichen Bodens kann in der obersten Bodenschicht (30 cm tief) etwa 80 Regenwürmer mit einer Körpermasse von ca. 40 Gramm enthalten. Jedoch leben dort auch über eine Billion Mikroorganismen mit einer 5-mal höheren Körpermasse: ca. 200 Gramm. In einem einzigen Löffel voll Erde können sich Milliarden Bakterien und diesen sehr ähnlichen Archaeen (Urbakterien) von 10.000 verschiedenen Arten finden. Alle darin enthaltenen Pilzfäden würden aneinandergereiht eine Strecke von mehreren hundert Kilometern ergeben, ein ungeheures Ausmaß.
«Die Mikrobengemeinschaften sind für alle Organismen, für Pflanzen, Tiere aber auch für Ökosysteme, überlebenswichtig.», so Gabriele Berg, eine der bekanntesten heutigen Mikrobiomforscherinnen im Interview mit Florianne Köchlin für das 2025 erschienene Buch „verwoben und verflochten“. Im Weiteren erklärt Köchlin die Zusammenhänge zwischen Boden und Pflanze so anschaulich, dass ich hier weitere Passagen direkt zitiere:
„Aus diesem riesigen Reservoir an Mikroben im Boden suchen sich die Pflanzen ihr eigenes Mikrobiom heraus; sie kultivieren es im Wurzelbereich, in den Früchten und in den Samen. Und wir, die wir Pflanzen essen, entnehmen daraus wieder Mikrobengruppen, die unseren Verdauungstrakt besiedeln und für unser Wohlergehen essentiell sind.“
„Alle Pflanzen kreieren im Wurzelstock eine nährstoffreiche Oase. Durch die Wurzeln schwitzen sie eine Vielzahl von Nährstoffen aus: Zuckerverbindungen, Aminosäuren und andere organische Säuren, Enzyme, verschiedene Signalstoffe. Damit füttern sie Abermillionen verschiedenartigster Lebewesen der großen Mikrobiom-Community im Wurzelbereich. Es gibt Pflanzen, die bis zu siebzig Prozent aller von ihnen durch die Photosynthese erzeugten Zuckerverbindungen an die Mikroben und andere Lebewesen im Boden abgeben. […]. Man kann also sagen, dass Pflanzen diese unterirdische Mikrobiom-Community regelrecht füttern und so für sie viele kleine Paradiese schaffen.“
So ist es nicht verwunderlich, dass in der unmittelbaren Wurzelzone die Mikrobenkonzentration bis zu 50-fach erhöht sein kann, im Vergleich zum umliegenden Boden.
„Im Austausch helfen Mikroben den Pflanzen, Nährstoffe wie Stickstoff, Phosphat, Eisen und Spurenelemente sowie Wasser aus dem Boden zu gewinnen. Sie machen Pflanzen resistenter gegen Krankheiten, Hitze, Überflutung und Dürre, sie fördern das Wachstum und helfen bei der Keimung. Sie neutralisieren giftige Substanzen im Boden und stimulieren das pflanzliche Immunsystem. Pflanzen und ihre Mikroben sind intime Partnerinnen in jedem Lebensprozess, und das seit vielen Millionen Jahren.“
So wie der Boden ist auch der menschliche Darm ein Tummelplatz für Mikroorganismen und auch die Oberfläche der Wurzelhaare ähnelt in ihrer Funktion unserer Darmschleimhaut. Nützliche Mikroben produzieren im Rhizobiom beispielsweise Abwehrstoffe, die Pathogene fernhalten. Hier ist der Hauptsitz des pflanzlichen Immunsystems. Die Pflanze kultiviert also aktiv ein bestimmtes Set an Mikroorganismen in ihrem Wurzelbereich. Als Kommunikationsmittel nutzt die Pflanze hierfür in Wasser gelöste Signalmoleküle, die sie über ihre Wurzeln ausscheidet. Auch die Mikroben kommunizieren so untereinander.
«Erstaunlich ist», so die Forscherin, «dass etwa ein Drittel aller Gene einer Mikrobe für die Kommunikation verantwortlich ist. Ein Drittel! Kommunikation, Kooperationen aufbauen, Vernetzen ist auch für diese winzigen, vom Auge nicht sichtbaren Einzeller das Fundament ihrer Existenz.»
Bis vor einigen Jahren glaubte man, das Innere der Pflanze und ihre Samen seien steril und enthielten keine Mikroben. Inzwischen wurde mehrfach nachgewiesen, dass dies nicht stimmt. Die Pflanzen lassen über ihren Wurzelbereich einige wenige Mikroben in ihr Gewebe hinein. Und aus dem Pflanzengewebe treten wiederum einige Mikroben in die Samen über. Nichts ist da zufällig, doch über die genaue Funktionsweise dieser Prozesse ist noch wenig bekannt. So wie beim Menschen das Baby einen Großteil des Mikrobioms beim Geburtsvorgang und durch die Muttermilch von der Mutter bekommt, vererbt auch die Pflanze das Mikrobiom durch die Samen an die nächste Generation.
Gesunder Boden – gesunde Pflanze – gesunder Mensch
Der klassische Grundsatz der ökologischen Landwirtschaft erhält vor dem Hintergrund dieser aktuellen Erkenntnisse zum Mikrobiom neue Brisanz. Denn inzwischen konnte auch nachgewiesen werden, dass bis zu vierzehn Prozent aller Mikroben unserer Darmflora direkt von Pflanzen stammen. Wir nehmen sie mit dem Gemüse und den Früchten auf, die wir essen.
„Traurigerweise haben wir schon sehr viel Mikroben aus unserem Verdauungstrakt verloren. Wir gehen davon aus, dass in der industrialisierten Welt bereits ein Drittel bis zur Hälfte der Vielfalt aller Mikroben im Darm verloren gegangen ist. Das kann dann längerfristig neue Krankheiten und moderne Plagen verursachen. Bei psychischen Erkrankungen oder Erkrankungen des Immunsystems und Allergien, auch bei Stoffwechselerkrankungen und sogar bei Krebs deuten neuere Untersuchungen darauf hin, dass das Darmmikrobiom eine wichtige Rolle spielt.“
Der Verlust der Mikrobenvielfalt hat verschiedene Ursachen. Antibiotika sind inzwischen in Böden, Pflanzen und Tieren präsent, sensible Mikroorganismen werden abgetötet, es bilden sich resistente Stämme, die das ökologische Gleichgewicht stören. Durch Züchtung auf hohe Produktivität, Uniformität und Krankheitsresistenz weisen moderne, gezüchtete Kulturpflanzen im Vergleich zu Wildpflanzen verarmte Mikrobiome auf.
Die Humussphäre
Ein paar Tage später tauchte das eingangs erwähnte Video mit den Mikroalgen in den Tanks auch in den einschlägigen Chatgruppen auf. Euphorische Stimmen meinten, man könne jetzt Pflanzen ohne Humus ernähren. Humus sei sowieso ein veraltetes Konzept. Das scheint der Traum der Biotechnologen zu sein. Es wurde zwar nicht mehr das abstruse Vokabular des Videos wiederholt, doch davon gesprochen, dass die Mikroalgen bewusst gestresst werden, damit sie die gewünschten Substanzen produzieren. Mich erinnert das, ehrlich gesagt, an Massentierhaltung, wo von den Tieren Höchstleistungen erpresst werden, ohne Rücksicht auf ihr Wohlbefinden zu nehmen.
Was das Leben im Boden anbelangt, ist Humus dagegen ein organisches Konzept, so komplex, dass es kaum in seiner Gänze erfasst werden kann. Es wird diskutiert, ob Humus denn überhaupt ein Stoff sei, oder eher ein Prozess? Ich las eine Definition aus den 1950-er Jahren von dem Mikrobiologen Selman Waksman, dem einzigen Bodenkundler, der je einen Nobelpreis bekam. Selman Waksman wird die Entdeckung des Streptomycins zugeschrieben. Es wird von Bodenpilzen produziert und ist das erste Antibiotikum, das erfolgreich gegen Tuberkulose eingesetzt wurde. Waksmans Definition von Humus war gut eine halbe Seite lang.
Heute wird Humus oft einfach mit „dem Gehalt an organischer Substanz im Boden“ gleichgesetzt. Diese vereinfachte Definition ist wohl eine Folge davon, dass die wissenschaftlichen Methoden nicht ausreichen, um dieses komplexe System mit seinen vielfältigen Lebensprozessen zu erfassen. Das ist auch eine Form von Reduktionismus. Der Gehalt an organischer Substanz im Boden ist als Qualitätskriterium ungeeignet, denn die organische Substanz kann im Boden in unterschiedlichsten Qualitäten vorliegen. Beispielsweise kann auch nur halbverrottete Pflanzenmasse dazuzählen, die das Wachstum der Pflanzen sogar schädigt. Dauerhumus dagegen, die gesündeste und langlebigste Form des Humus im Boden, wird hauptsächlich aus organischen Molekülen gebildet, die durch die Aktivität und den Tod von Mikroorganismen entstanden sind. Das ist auch der Grund dafür, warum inzwischen immer wieder die mikrobielle Biomasse als Bodenqualitätsparameter bestimmt wird. Den Funktionen, die bestimmte Mikroorganismen in diesem hochkomplexen System ausüben, kommt man aber selbst mit den modernsten Gensequenzierungsverfahren kaum auf die Spur.
Ein interessantes Konzept, das meines Erachtens auf das Wesentliche verweist, wenn es darum geht, Bodenqualität zu definieren, ist von Herwig Pommeresche, einem deutschen Permakulturforscher, der in Norwegen lebte. Er postuliert, dass zwischen Atmosphäre und Lithosphäre (von gr. Líthos‚ Stein) innerhalb der Biosphäre eine Übergangszone existiert, die so spezifisch und grundlegend wichtig für das Leben auf der Erde ist, dass sie mit einer eigenen Bezeichnung charakterisiert werden sollte: die Humussphäre. Die Humussphäre reicht von der Bodenoberfläche so weit in die Tiefe, wie die Gesteinsschicht von Pflanzenwurzeln und Luftsauerstoff durchdrungen ist. Hier leben die Bodenorganismen, die ganz überwiegend auf aerobe Verhältnisse angewiesen sind, d.h. sie brauchen Luft-Sauerstoff für ihre Stoffwechselprozesse. Das Mikrobiom im Boden ist also essentiell aerob und fast unermesslich vielfältig, wie Gabriele Berg erklärte und aus dieser suchen sich die Pflanzen ihre Partner aus. Beispielsweise locken sie ihre mikrobiellen Symbionten an, um ihre Nährstoffversorgung, Krankheitsabwehr oder Stresstoleranz zu verbessern.
Aerober Kompost
Die Bodenverbesserungsmaßnahme, die diese natürlichen, aeroben Bedingungen in der Humussphäre auf ideale Weise nachahmt und zusätzlich intensiviert, ist die Kompostierung nach Lübke. Bei der Entwicklung dieser Methode stand die Frage im Mittelpunkt, wie die besten Lebensbedingungen für Mikroorganismen im Boden in konzentrierter Form hergestellt werden können, damit ein harmonischer Kompostierungsprozess ablaufen kann. Dies ist eine komplexe Fragestellung, müssen doch Nahrungsgrundlage, Wasserbedarf und Temperatur stimmen und genug Luft zum Atmen müssen die Mikroben auch finden.
Zunächst stellt man durch die Zusammensetzung des Ausgangsmaterials eine ausgewogene Nahrungsgrundlage her. Es soll ein bestimmtes Verhältnis von grünen und braunen organischen Stoffen vorhanden sein, was einem C:N = Kohlenstoff zu Stickstoff-Verhältnis von 30:1 entspricht. Zerkleinert, d.h. in der Praxis meist gehäckselt und homogen gemischt, wird das Ausgangsmaterial sozusagen mundgerecht für die Mikroorganismen zubereitet. So bietet es den Mikroorganismen eine optimale Angriffsfläche, damit diese effektiv ihre Zersetzungsarbeit beginnen können. Dies ist der Rotteprozess. Mit einer Breite von ca. 3 Metern und einer Höhe von maximal 1,5 Metern wird aus dem Ausgangsmaterial eine Kompostmiete in beliebiger Länge aufgesetzt, wobei der Feuchtegehalt im mittleren Bereich bei ca. 55 % evtl. durch zusätzliches Besprühen mit Wasser eingestellt wird. Diese Steuergrößen garantieren in ihrer Kombination, dass durch die Mikrobenaktivität die Temperatur des Materials schon nach kurzer Zeit ansteigt und die sogenannte Heißrotte beginnt. Das ist notwendig, um den Kompost zu hygienisieren, d.h., um Unkrautsamen und pathogene Keime zu vernichten. Es ist allgemein bekannt, dass bei Temperaturen über 60-70 Grad Celsius Mikroorganismen abgetötet werden. Das ist die bei vielen Lebensmitteln angewandte Pasteurisierung. In dem Verfahren nach Lübke wird sehr sensibel mit der Steuerung der Temperatur umgegangen, denn man will ja die gute Mikroflora erhalten. Deshalb wird die Temperatur bei einem Maximum von 65 Grad mittels Umsetzen oder Wenden herunterreguliert. So kann außerdem einerseits Luft in die Poren des Kompostmaterials einfließen und so die Frischluftzufuhr für die sauerstoffliebenden Mikroben gesichert werden. Andererseits können so die im Prozess entstandenen Gase, wie C02 entweichen. Ein spezielles Kompostvlies, mit dem die Miete abgedeckt wird, lässt diese Atmung zu, verhindert schnelles Austrocken und sorgt dafür, dass der Kompost bei Starkregenereignissen nicht zu nass wird und es nicht zur Nährstoffauswaschung kommt. Dies ist ein komplexer, lebendiger Prozess, der für sein Gelingen von den Verantwortlichen viel Fingerspitzengefühl verlangt. Nach 2-3 Monaten ist die Abbauphase des Ausgangsmaterials weitgehend abgeschlossen und die Erwärmung nach dem Wendevorgang geht deutlich zurück. Nun beginnt die Reifungs- oder Aufbauphase, in der aus den makromolekularen Abbauprodukten Huminstoffe aufgebaut werden. Als Ergebnis entstehen dauerhafte Bodenkrümel, in denen die Nährstoffe stabil gebunden sind. Wenn der Gärtner oder Landwirt diesen Kompost oberflächlich in den Ackerboden einarbeitet, können die darin enthaltenen humusaufbauenden Mikroorganismen wiederum unter den für sie günstigen Lebensbedingungen auch den Humusaufbau auf dem Feld fördern. Humusaufbau ist eine der großen Herausforderungen der regenerativen Landwirtschaft. Die Wirkungen dieses mikrobiell aktiven Komposts, speziell aus dem Heißrotteverfahren auf die Pflanzengesundheit können als „supressive Effekte“ beispielsweise im Kartoffelanbau beobachtet werden. Seine Anwendung wirkt als biologisches Schutzsystem, das allgemein Pflanzenkrankheiten vorbeugen oder diese abschwächen kann. (Link 2)
Mikroorganismen mit Superpower
Für dieses biologische Schutzsystem ist, wie Gabriele Berg erklärte, das Mikrobiom maßgeblich. Wenn schon der Boden ein riesiges und enorm vielfältiges Mikrobiom enthält, dann findet sich in so einem vitalen Kompost ein fast unermesslich Vielfaches davon. Und dies nicht nur in der bloßen Anzahl, sondern insbesondere auch in der Diversität, denn so eine Kompostmiete ist ein wahrer Hotspot des Lebens. Zum einen nimmt bei steigender Temperatur bis ca. 60 Grad bei zusätzlich optimalem Nährstoffangebot die Vermehrungsrate vor allem der Bakterien exponentiell zu. Zum anderen dürften die Mechanismen des horizontalen Gen-Transfers wirken, bei dem v.a. einfache Lebensformen wie Bakterien, auch über Artgrenzen hinweg, auf verschiedenen Wegen Genmaterial austauschen und so die genetische Vielfalt erhöhen. Es handelt sich um genau den Prozess, der den Bakterien hilft, schnell gegen Antibiotika resistent zu werden. Das Ergebnis im Heißrottekompost ist eine unfassbare Vielfalt an genetischen Variationen. In diesem Reichtum an Biodiversität besteht die Superpower der Mikroorganismen im aeroben Heißrottekompost. Die Anforderungen, die die Pflanzen über ihre Wurzelausscheidungen in den Boden kommunizieren, können sofort perfekt bedient werden. Für jede Aufgabe kann also sofort ein Spezialist gefunden werden.
Artgerechtes Dasein für Boden und Mikroben
Man fragt sich, warum trotz dieser fantastischen Eigenschaften nicht mehr von diesem Lübke Spezialkompost eingesetzt wird. Die Antwort ist klar. Es sind wieder die ökonomischen Zwänge, die dem Boden und den Mikroorganismen ihr artgerechtes Dasein als Humussphäre verwehren. Für das Temperatur- und Sauerstoffmanagement bedarf es einer speziell für diesen Zweck entwickelten Kompostwendemaschine. Diese kann die verschiedenen Zonen innerhalb einer Kompostmiete optimal mischen, so dass das gesamte Material wirklich gleichmäßig kompostiert. Bei den meisten Maschinen ist zusätzlich eine Sprühanlage integriert, so dass zusätzlich der Feuchtegehalt ideal eingestellt werden kann. Es sind bis zu 25 Wendevorgänge notwendig, bis der gesamte Kompostierungsprozess abgeschlossen ist und die Temperatur der Miete nur noch maximal 5 Grad über die Bodentemperatur ansteigt. Der Wendeprozess ist bei größeren Mengen von Hand nicht zu bewältigen, zumal zu Beginn täglich gewendet werden muss. Bei größeren Mengen, wie sie in Gärtnereien und landwirtschaftlichen Betriebe kompostiert werden, fällt zudem der Faktor Arbeitszeit ins Gewicht. Hinzu kommt, dass durch die Wirtschafts- und Agrarpolitik die Entkapitalisierung der Betriebe so weit fortgeschritten ist, dass sie sich diese nachhaltigen Investitionen in ihren Maschinenpark kaum leisten können. Förderung geht an Startups, wie in dem YouTube-Video, die mit viel größerem finanziellen Aufwand technische Verfahren entwickeln, um Mikrobencocktails zu produzieren. Diese können zwar mit vorhandenen Feldspritzen, die eigentlich für Pestizide gedacht sind, ausgebracht werden, ihre Wirksamkeit konnte wissenschaftlich allerdings noch nicht nachgewiesen werden. Die neueste Rezeptur, mit der man versucht, die Lebensgemeinschaft unter der Erde zu manipulieren, kommt von dem erwähnten Startup, das mit den von den Mikroalgen erpressten Pflanzenhormonen die Kommunikation zwischen Pflanze und Boden managen will. Wenn man den Erkenntnissen zur Intelligenz der Pflanzen Glauben schenkt, werden auch hier die Ergebnisse nicht weit über den Unternehmensprofit der Erfinder hinausgehen. Es ist eben kein leichtes Unterfangen, denn die Komplexität der mit Abstand größten und vielfältigsten Mikrobencommunity, die im Boden lebt, übersteigt mit Sicherheit das Vermögen der heute zum Großteil reduktionistischen Biotechnologie. Eine ganzheitliche Herangehensweise wäre dagegen die aerobe, heiße Kompostierung nach Vorbild der Humussphäre. Hier hat die Mikrobenwelt den Raum und die Bedingungen, ihre Kreativität und ihren Erfindergeist, ihr ganzes Potenzial zu entfalten.
«Mikroben waren ein paar Milliarden Jahre auf der Erde, bevor irgendein anderes Lebewesen auftauchte. Sie haben fast alles erfunden, was das Leben ausmacht – Stoffwechselvorgänge, die Zellatmung oder die Zellkommunikation und vieles mehr. Ohne die Mikrobenwelt gäbe es uns nicht. Sie stehen am Anfang von allem. So einfach ist das.» (Zitat aus „verwoben und verflochten“)
Nicht umsonst werden die Mikroben auch als „die Herrscher des Planeten“ bezeichnet. Es mehren sich Publikationen, wie „Die unfassbare Vielfalt des Seins“ (James Bridle, 2023), die dazu geeignet sind, unseren Horizont bezüglich der uns umgebenden, mehr-als-menschlichen Intelligenzen zu erweitern. Heißrottekompostierung scheint mir ein vielversprechender Weg zu sein, mit ihnen zu kooperieren.
Gemeinschaftsorganisation und Kommunikation
Wie könnte man nun in der Praxis diesem ganzheitlichen Mikrobenwalten für den Boden auf die Sprünge helfen? Obwohl ich mich gegen die Naturalisierung sozialer Verhältnisse verwahre, denke ich darüber nach, wie eine Lebensmittelerzeugung inspiriert von der Lebensweise der Mikroben aussehen könnte. Dezentral, lokal und kooperativ fällt mir dazu ein. Oben wurde schon gesagt, dass die Mikroben ein Drittel ihrer Gene für Kommunikation, Kooperationen und Vernetzung benutzen. Das ist ganz im Sinne der vielen Solawis – der „Solidarischen Landwirtschaften“. Hier zahlen die Mitglieder im Voraus feste Beträge an die Landwirte und Gärtner, bekommen dafür jede Woche ein frisches, saisonales Gemüsesortiment und in vielen Fällen helfen sie auch mal ein paar Stunden bei der Arbeit auf dem Acker mit. So ein direkter Naturkontakt ist – neben dem Gemüse – auch essenziell für die Vielfalt des menschlichen Mikrobioms und damit der Immunabwehr. Das zeigen inzwischen auch diverse Studien. Oft wird in den Solawis auch Kommunikation und Vernetzung zu anderen Themen mit gesellschaftlicher Relevanz angeregt. Im Jahr 2020 gab es 284 solcher Gemeinschaften in Deutschland. Heute sind schon über 480 in der Dachorganisation der Solawis gelistet. Bei 480 Solawis mit durchschnittlich 150 Anteilen, die im Mittel je drei Personen versorgen, sind das ca. 200.000 Menschen, die in Deutschland an diesen regionalen Lebensmittelinitiativen teilnehmen. Das ist bisher nur ein sehr geringer Anteil der BewohnerInnen in Deutschland. Da sollte noch Erweiterungspotenzial sein. Solawi-Mitglieder können auch mit ihren Bauern ins Gespräch darüber gehen, welche Nahrungsmittel mit welchen Methoden angebaut werden. Leider geraten inzwischen auch Biobetriebe mit der allgemeinen, wirtschaftlichen Situation zunehmend unter Druck: An einem Ort schließt ein Biohotel seine Pforten und fällt als Gemüsegroßabnehmer aus. Andernorts kündigt der Naturkostgroßhandel einen Liefervertrag.
Da werden Bioanbauflächen frei. Könnten diese nicht als Grundlage genutzt werden, um den lebensfördernden aeroben Heißrottekompost zu erzeugen? Auch viele Familien wollen hinter ihrem Haus oder in einem Kleingarten ihr eigenes Gemüse anbauen. Für sie könnte es interessant sein, einmalig einen solchen Kompost, bzw. das daraus durch Nachreifung entstandene Pflanzsubstrat, zu beziehen. Einmalig, weil sie dieses zu einer stabilen Humussubstanz in der biozyklischen Humuserde veredeln können. Nach einer etwa fünfjährigen Bepflanzung der Substrathügel mit Mischkultur sollte die Veredelungsphase zur biozyklischen Humuserde abgeschlossen sein. Dann bleibt ihr Volumen konstant und sie kann viele Jahre ohne Düngung und verglichen mit dem herkömmlichen Gemüsebau mit 2-3 fachen Ernteerträgen weiterbepflanzt werden. Natürlich könnten auch Hochbeetgärtner direkt die biozyklische Humuserde von einem professionellen Veredler für ihr Hochbeet beziehen. Da könnten sich auch neue Chancen für die BiobäuerInnen und GärtnerInnen eröffnen: Kompostierung, Substratherstellung und Veredelung von biozyklischer Humuserde als eigenes Standbein. Natürlich brauchen sie in der jetzigen wirtschaftlichen Situation Kooperationen, um so einen neuen Betriebszweig in Gang zu bringen. Die Wege dafür zu finden, ist die Herausforderung der Stunde. Da hilft immer wieder Kommunikation, Kooperation und wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Prof. Peter Schmuck, ein Psychologe und Aktionsforscher und Visionär, der von 2009-2014 den Umbau von Kommunen zu Energiewendedörfern begleitet hat, teilt in seinem Artikel „Initiativen der Regionalgesellschaft- wie anfangen?“ (Link 3) einige Vorschläge mit uns, die in seinen Teams mit Erfolg angewendet wurden. Die Energiewendedörfer sind ein tolles Beispiel, wie aus einer Idee Realität geworden ist: Heute gibt es 200 deutsche Kommunen, die mit regionalen Ressourcen Strom und Wärme erzeugen. Die erfolgreichen Strategien von gelungenen Initiativen in die Tat umzusetzen, das sollte auch für die Entstehung regionaler Humuserdenetzwerke ein vielversprechender Weg sein.
Biozyklische Humuserde
Ein weiterer hoffnungsvoller Ansatz, der in den letzten Jahren entdeckt wurde, ist die eben schon kurz beschriebene biozyklische Humuserde, über die ich an anderer Stelle ausführlich berichtet habe (Link 4). Auf biozyklischer Humuserde anzubauen bedeutet, dass man überhaupt keinen Dünger mehr braucht, weil sich in den Komposthügeln durch mehrjährige Mischkulturbepflanzung eine stabile Humussubstanz bildet. Hier kann Gemüse wachsen, das fantastisch schmeckt und durch und durch zart ist, weil eine durch das Mikrobiom optimal ernährte Pflanze auch genug Energie hat, um Geschmacks- und Vitalstoffe zu bilden – und das bei zwei- bis dreifachen Erntemengen. Das Geheimnis, das dahinter steckt, ist wiederum die aerobe Heißrottekompostierung nach Lübke. Dieser Kompost wird durch eine zusätzliche Reifungsphase zu einem Pflanzsubstrat, das als Ausgangsmaterial für den Veredelungsprozess zur biozyklischen Humuserde dient. Für so eine Erde lohnt sich die einmalige Investition, die dann auch noch dem Kompostbauern, der dieses Pflanzzsubstrat herstellt, zugutekommt.
So sieht meine Vision für eine Allianz der Landbewirtschaftung mit den wahren Herrschern des Planeten, nämlich den Mikroben im Boden, aus! Die artgerechte Existenz der sauerstoffliebenden Kleinstlebewesen in der Humussphäre ist die Grundlage für ein vielfältiges Mikrobiom und damit die Grundlage für die Gesundheit von Pflanzen, Tieren und Menschen. Aerobe Heissrottekompostierung ist eine natürliche Biotechnologie, die direkt von den auf dem Land tätigen Menschen mit eigenen Ressourcen bewerkstelligt werden kann, und die gleichzeitig unser aller Verbindung zur Erde und Bodenfruchtbarkeit fördert. Denn der Boden ist ganzheitlich betrachtet und richtig behandelt ein ewiger Jungbrunnen. Wir sollten uns für diese Lebensallianz einsetzen, für einen lebendigen Landbau, oder eine symbiotische Lebensmittelerzeugung sowohl auf der Mikro- wie auf der gesellschaftlichen Makroebene.
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*) Biotechnologie ist eine interdisziplinäre Wissenschaft, die sich mit der Nutzung von Enzymen, Zellen und ganzen Organismen in technischen Anwendungen beschäftigt.
**) Bioökonomie wird definiert als Summe der Sektoren und Dienstleistungen, die biologische Ressourcen wie Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen nutzen. Seit 2020 gibt es eine Nationale Bioökonomiestrategie, im Rahmen derer massive Investitionen vor allem in den Bereichen der Digitalisierung, Biotechnologie und Gentechnik getätigt werden sollen.
***) Permakultur (abgeleitet vom englischen Begriff „permanent (agri)culture“), bedeutet „dauerhafte Landwirtschaft“ oder „dauerhafte Kultivierung“, und ist so zunächst ein Konzept für nachhaltige und regenerative Landwirtschaft und Gartenbau. Über Jahrzehnte hat sich eine Permakulturbewegung entwickelt, die zukunftsfähige, ökonomisch und ökologisch stabile Systeme schafft, in denen Menschen, Tiere und Pflanzen sich gegenseitig unterstützen, bereichern und fördern.
Link 1: Pflanzenbooster aus dem Labor
Link 2: Kompost schützt Pflanzen



